Samstag, 23. Juli 2016

Russland hat uns wieder - Grenzgeschichten



Seit ein paar Tagen ist die Mongolei Geschichte. Unser Visum hätte zwar noch länger Gültigkeit gehabt, aber für uns war es an der Zeit zu fahren. Kurz hatten wir noch damit geliebäugelt, in Bayan-Ölgii das Naadamfest mitzuerleben, uns kurzentschlossen aber für die Ausreise entschieden. Der westlichste Bezirk der Mongolei, der Aimag Bayan-Ölgii, ist anders. Hier ist Kasachenland. Der Altai prägt das Leben der hiesigen Nomaden durch seine Kargheit. Jurten sind ausschließlich in grünen Flussoasen zu finden, die Viehherden sind kleiner und seltener. Aber auch die Mentalität der Leute ist anders. In Ölgii, der Bezirkshauptstadt, geht es wesentlich geschäftsmäßiger zu als im Rest des Landes, die Menschen tragen eine andere Tracht und viele Frauen wieder Kopftuch. Der Islam ist hier die vorherrschende Religion, 95% der Bevölkerung sind Kasachen.






auf der Nationalparkpiste zurück nach Ölgii

Nach unseren, gemeinsam mit Marta und Stani verbrachten Ruhetagen im Altai, kehrten wir nach Ölgii zurück. Noch waren wir unschlüssig, ob wir die in 4 Tagen anstehenden Naadamfeierlichkeiten miterleben wollten. Hier in Ölgii wurden die Wettbewerbe im Ringen, Bogenschießen und das durchaus sehenswerte Pferderennen dieses Jahr am Wochenende nach dem eigentlichen Feiertag ausgetragen. Nach einer am Ortsrand verbrachten Nacht erkundeten wir am nächsten Tag den Ort. Duschen im örtlichen Badehaus, Einkaufen und Wassertanken standen auf dem Programm. Wir waren überrascht, dass die Polizei den Ort großräumig abriegelte und alles was 4 Räder hatte, aus dem Zentrum verbannte. Nachdem wir in der westlichen Mongolei ab und zu aufgrund unserer Fahrzeughöhe – inklusive Reservereifen auf dem Dach 3,70 m - Feindberührung mit den innerörtlichen, tief über der Straße hängenden Stromleitungen hatten, wollten wir unseren Jonny eh etwas außerhalb parken. Des Rätsels Lösung war – ein hochrangiger kasachischer Politiker kam extra nach Ölgii geflogen, um auf dem Hauptplatz eine Rede zu halten. 



Wir wussten, dass sich die Mongolei zu Naadam, dem Nationalfeiertag am 11. Juli, in einer Art Ausnahmezustand befindet. Das ganze Land ist in Festtagsstimmung, Behörden sind geschlossen und manchen Ortes wird die Versorgung mit Treibstoff knapp. Für die Kasachen im Westen ist der 15. Juli wohl auch noch ein Feiertag und zwischen Kasachstan und den Verwandten im Bezirk Bayan-Ölgii herrschte reger Besuchsverkehr.

Soweit, so gut. Wir entschieden endgültig, die Feierlichkeiten auszulassen und langsam die 100 km Richtung russische Grenze in Angriff zu nehmen. Ein Tankwart machte uns noch darauf aufmerksam, dass am Freitag, dem 15. Juli, die Grenze bei Tschaganuur geschlossen sei. Dies hielt uns nicht davon ab, am Vorabend Richtung Landesgrenze aufzubrechen. Die Landschaft war herrlich und wir genossen die abendliche Fahrt, auf der uns kein einziges Auto entgegen kam. Kurz vor der Grenze fanden wir unweit der Piste einen lauschigen Stellplatz und verbrachten eine stille, friedliche, vorerst letzte Nacht auf mongolischem Boden. 




Am nächsten Morgen fuhren wir ausgeruht die verbleibenden 3 km um den Berg herum, um uns vor den Schlagbaum anzustellen. Wir waren darauf vorbereitet, den Freitag mit Warten zu verbringen, um am Samstag mit den Ersten über die Grenze zu fahren. Die Abfertigung beginnt normalerweise morgens um 10 Uhr, die Grenzer machen eine Mittagspause, abends um 18 Uhr ist der Schlagbaum wieder unten und sonntags ist geschlossen. Wir staunten nicht schlecht, als wir Stani und Marta, deren Visa bereits am Vortag abgelaufen waren, an der Grenze wieder trafen. Aufgrund der Feierlichkeiten im Bayan-Ölgii Distrikt war die Grenze seit 6 Tagen dicht und wurde nur am Samstag für einen einzigen Tag wieder geöffnet. 


an der Grenze

Der Land Rover der Beiden stand an vierter Stelle, wir an 10ter. Am nächsten Morgen standen Stani und Marta an Platz 10 und wir an 20ter Stelle. Manche Bewohner des kleinen Grenzörtchens, das ausschließlich aus Grenzbeamten und deren Angehörigen besteht, verstehen sich darauf, aus der Not mancher Leute ein Geschäft zu machen. Die luxeriösen Fahrzeuge auf Platz 1 bis 10 gehörten überwiegend Russen. Die Vermutung liegt nahe, dass im Vorfeld für die Platzhalter bezahlt wurde. Manch Kasache – und es waren viele – hielt ein Plätzchen für einen Freund frei, man begrüßte sich, man kennt sich. Die Autos waren wie gewohnt bis unters und auch auf dem Dach vollgepackt, die Personenzahl im Auto jenseits des Erlaubten. Bei Hereinbrechen der Dunkelheit war die Warteschlange auf ca. 80 Autos angewachsen. Und alle verbrachten die Nacht an der Grenze, teils im Auto, teils in den kleinen Hütten entlang der Zielgeraden. Einerseits herrschte eine sehr entspannte Stimmung. Am Wartetag wurden Autos repariert und Freundschaften geknüpft. Das Verschieben und der Austausch der Platzhalterautos führten am Abend allerdings zu diversen Missverständnissen zwischen den geschäftstüchtigen, wodkabeseelten Herren, die sie auch mal mit Fäusten austrugen. Wir behielten die Nerven und schauten uns das Spektakel aus sicherer Entfernung an. Wie es schien, hatten wir uns einen der turbulentesten Tage des Jahres für unsere Ausreise ausgesucht. Die Grenzer hatten ein Einsehen und öffneten morgens überraschend die Pforten eine Stunde früher als üblich – was wiederum kollektive Hektik unter den Wartenden auslöste. Nun war es die Kunst, kein weiteres Fahrzeug zwischen uns und den Vordermann zu lassen, was uns relativ gut gelang. Diejenigen, die sich doch dazwischen mogeln konnten, wurden spätestens beim Einfahren in den Abfertigungsbereich von den Grenzern zur Seite genommen und durften sich zur Strafe erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder in die Schlange einreihen. Pech gehabt!


2 Stunden später wurden wir ins Niemandsland entlassen. Auf den nächsten 20 km war das Wettrennen auf die besten Plätze an der russischen Grenze eröffnet. Mit unserem Jonny hatten wir gegenüber den PKWs das Nachsehen und dementsprechend viele Autos vor uns. 
Iris nutzte die Wartezeit für einen Plausch mit einer Schweizer Motorradfahrerin, die seit 2 Stunden auf ihren Freund wartete, der immer noch in der Warteschlange, diesmal von Russland in die Mongolei, steckte. Aber nicht nur Tipps zur Route Richtung Mongolei bzw. Iran wurden getauscht. Eine langärmelige, über den Hintern reichende irantaugliche Bluse, fand in Iris ihre vierte Besitzerin. Das erprobte Kleidungsstück wurde von einer Schweizerin an eine Belgierin weitervererbt. Diese wiederrum gab es irgendwo in Armenien der motorradfahrenden Schweizerin, die es wiederrum nun Iris vermachte. Wer weiß, wer das gute Stück nach ihr tragen wird.

Die Russen nahmen es bei der Einreise sehr genau. Die vollgepackten Autos der Kasachen mussten vollständig entladen werden. Jedes Gepäckstück wurde wie am Flughafen zum Durchleuchten auf ein Laufband gelegt. Bei uns beließen sie es bei Stichproben und den üblichen Fragen nach Waffen und Drogen. Die freundliche Dame vom Zoll füllte die Zolldeklaration für uns aus. Sie wollte sicherlich vermeiden, dass wir falsche Kreuze setzen. Nach insgesamt 4 Stunden hatten wir auch diese Hürde genommen und durften zum Tor ausfahren.

Jetzt im Nachhinein wird uns bewusst, wie sehr uns die Mongolei gefordert hat. Wir haben jeden Moment genossen, wussten aber nie was als nächstes auf uns zukommt. Die Mongolei ist unberechenbar. Mangels Sprachkenntnis konnten wir selten nach dem fragen, was wir hätten wissen wollen. Wir mussten uns oft überraschen lassen. Russland, das uns auf dem Hinweg noch sehr einfach erschien, erscheint plötzlich in einem anderen Licht. Kein Fluss mehr, der plötzlich brückenlos aus dem nichts erscheint und überquert werden will. Keine Piste mehr, von der man nicht weiß, ob sie in einem Matschloch endet. Wir haben hier im russischen Altai, indem es auch wieder Bäume gibt, unweit der Hauptstraße an einem kleinen, klaren Bach, in der Nähe von Kuray ein lauschiges Plätzchen gefunden, das uns für mehrere Tage festhielt. Hier haben wir bei sonnigem, angenehm temperierten Wetter Hilmars Geburtstag verbracht und in mückenfreier Umgebung unseren Jonny einem Frühjahrsputz unterzogen. Wir blicken auf das mit Gletschern überzogene Gebirgsmassiv rund um den Aktru, einem weiteren 4000er in dieser Gegend. 

Aktru
 


Die nächsten Tage werden wir auf der Suche nach Wifi und einer Waschmaschine weiter den Chuisky-Trakt, der einzigen durch den russischen Altai führenden Straße, folgen um bei Barnaul Richtung Kasachstan einzuschwenken. 
Es ist sehr schön und friedlich hier. Und so berechenbar……

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hej Hilmar und Iris
Wie immer: toll zu lesen, interessant, schöne Impressionen und Foto´s.....
Denke oft an euch und wie es so geht. (Iris: auch dieses Mal war ich gerade einen Tag zu Früh auf euren Blog)
Die Bluse: super!!
Viel Freude weiterhin.
Een heel dikke drukker :-))

(hier ist es Afrikafest, ich höre seit 3 Tage den Musik bis bei mir:-) Toll einfach)

klausausadlitz hat gesagt…

Hi und gute Reise weiterhin mit sauberen Fingernägeln,
Wir haben uns die letzte Zeit im Gran Chaco eingetrieben, mucho tranquilo.
LG Klaus und Gisi