Mittwoch, 25. Mai 2016

Insel Olchon und der Baikal


Wir sitzen auf den Stufen unserer Einstiegsleiter. Vor uns der Baikalsee. Es ist Abend. Die Sonne ist bereits auf dem Rückzug. Auszüge unserer Unterhaltung:
 

Er: “Piepmatz in der Senke auf 3 Uhr“.
Sie: „Gelbes Köpfchen, ich sehe es“. 4 Minuten Pause.
Sie: „Ich habe gerade das Bild des Falken, der heute Nachmittag über uns hinweg flog, vor Augen“. 2 Minuten Pause.
Er: „ Meinst du, es war ein Falke?“. 


Pause. Stille. Kein Wind. Keine Wellen. Olchon.
 


Müssen wir mehr sagen? Unser Instinkt hat uns auch dieses Mal richtig geführt. Vor einer Woche waren wir noch aufgewühlt von der Fahrt, von den unzähligen Kilometern, die wir in den letzten Wochen zurückgelegt haben. Heute sitzen wir still und fast schweigsam vor unserem Jonny und genießen das Hier und Jetzt. Ganz langsam dämmert uns, dass wir wirklich hier sind – hier am Baikal, mitten in Sibirien. 

Erster Blick auf den Baikal
Der See ist eisfrei. Wir haben vergessen zu fragen, seit wann. Wir sind auf Olchon. Hier vergisst man die Zeit und hört das erste Mal seit Jahren – nichts! Ein paarmal in der Stunde fährt, auf der in ca. einem Kilometer Entfernung verlaufenden Hauptpiste der Insel, ein Auto vorbei. Es hinterlässt eine weithin sichtbare Staubfahne. Asphalt kennt man auf der Insel nicht.

Die Schotterpiste, die vom Fähranleger bis nach Chuschir, der „Hauptstadt“ der Insel führt, hat Wellblechcharakter und ist bock hart. Dementsprechend viele Nebenpisten führen parallel zur Hauptstrecke durch die spärliche Grasnarbe. Es ist unwahrscheinlich schön hier. Hilmar erinnern die sanften, im Südteil der Insel baumlosen Hügel an die Allgäuer Grasberge. Bei unserer Ankunft vor einer Woche hatten wir noch keine Ahnung, was uns erwarten würde. Am Nachmittag warteten wir auf die Fähre, die uns über die „Meeresenge“ bringen sollt. 250 km Fahrt lagen da schon hinter uns. Vorwärts ging es rauf aufs Schiff, rückwärts wieder runter. Ob wohl die vordere Auffahrtsrampe klemmt? Beim Warten hatten wir genug Zeit unser Umfeld zu studieren. Ein Laster mit Holzbrettern wollte auf die Fähre, ein Familienvater lud Frau und Kind ab. Sie wurden auf der anderen Seite wieder abgeholt. Olchon, die mit 75 km Länge und 13 km maximaler Breite größte Insel im See, ist erst seit 2005 ans Stromnetz angeschlossen. Vorher gab es Generatoren.



Auf Olchon gibt es, wie häufig in Sibirien, keine Wasserleitungen. Das Wasser kommt aus dem See und wird über Wasserwagen angeliefert. Es hat Trinkwasserqualität. Auch unsere Wassertanks sind mittlerweile voll davon. Per Gießkanne direkt aus dem See, Kneippkur inklusive. Auf Olchon gibt es keine WCs mit Wasserspülung. Sie werden von allgegenwärtigen Plumsklos ersetzt. 



Olchon ist gelebte Zeitlosigkeit. Wir sind im Burjatenland. Hier sind Berggipfel, Quellen, Bergpässe und markante Orte in der Landschaft heilig. Oft sieht man die mit bunten Bändern geschmückten Bäume und Pfosten, neben denen Geldstücke und leere Wodkaflaschen als Opfergaben liegen. Olchon. Sanfte Grashügel, steile Klippen, Lärchenwälder. Und ein paar Ortschaften. Insgesamt leben hier ca. 1700 Menschen. Vom Fischfang und vom Tourismus, der sich seit mehreren Jahren als wachsender Wirtschaftszweig immer stärker etabliert. Viele Reisende, die überwiegend mit der Transsibirischen Eisenbahn durchs Land fahren, kommen für ein paar Tage hier her. Sie werden am Bahnhof von Irkutzk mit kleinen, weißen Minibussen abgeholt, und direkt hier her gebracht.


Chuschir
Nachdem wir am Anreisetag unseren ersten Schreck über fehlende Asphaltdecke und holprige Straßen überwunden hatten, fanden wir ein schönes Plätzchen zum Schlafen. Eine Bucht, dreizehn Kilometer vor der „Hauptstadt“, beherbergte uns für die ersten zwei Tage. Hier sollten wir auch die letzten beiden wieder verbringen. 


Erholt nahmen wir die letzten 13 km zur „Hauptstadt“ in Angriff. Wir wollten unsere Nationalparkgebühr, die bei Befahrung der nördlichen Hälfte der Insel fällig wird, begleichen und uns registrieren lassen. Die Nationalparkverwaltung war geschlossen. Die Dame von der Post, die normalerweise die Registrierung, die in Russland für einen länger als 7 Tage andauernden Aufenthalt an einem Ort fällig wird, durchführen sollte, verwies uns ans Hotel Nikita. Ein guter Tipp. Wir wurden aufs freundlichste begrüßt und konnten auch ohne Gast im Hotel zu sein, die hauseigene Infrastruktur, sprich Wifi, nutzen. Quartier bezogen wir oben auf dem Hügel. Herrlicher Blick über den See und den, in unmittelbarer Nähe gelegenen, Schamanenfelsen. Neben uns der einzige Handysendemast der Insel. 



Sonnenaufgang um halb 5

Die ersten Tage auf der Insel hatten wir wunderbar frühsommerlichen Sonnenschein. Am 4ten Tag kam der Regen. Er verwandelte die Straßen des Ortes in glitschige Schlammpisten. Wir hörten später, Irkutzk wäre unter Wasser gewesen. Wir blieben wo wir waren und legten einen häuslichen Tag ein. Bei Verlassen unseres Stellplatzes, vier Nächte später, war man eben dabei eine Absperrung vor der Auffahrt zu errichten. Vielleicht waren wir die letzten, die den Luxus der schönen Aussicht genießen konnten? 

Die Fahrt in den nördlichen Teil der Insel haben wir Gott sei Dank nicht selbst in Angriff genommen. Unser Jonny hätte die Pisten, die uns dort erwartet hätten, nicht gepackt. An einer zentralen Stelle, durch die jeder durch muss, war die Piste zu zerfurcht und die Schlammrillen frisch gespült. Niedrig hängende Äste und eng stehende Bäume erschwerten die Passage zusätzlich. Wir haben das Angebot vom Hotel angenommen und uns für 800 Rubel p.P. kutschieren lassen. 

Mit einem dieser extremst geländegängigen russischen Kleinbusse, einem „Uasik“ düsten wir Richtung Kap Coboi, der Nordspitze der Insel. Dort liegt einem der ganze See zu Füßen. Wir waren ob der vielen landschaftlichen Highlights, die sich uns boten, sprachlos. Außerdem gab es mittags Picknick. Unser Fahrer bereitete uns eine wunderbar russische Fischsuppe, anschließend gab es Kekse und Tee. Mit uns fuhren ein älteres australisches Ehepaar aus Queensland, eine Koreanerin und zwei Russinnen. Ein brasilianisches Ehepaar mit eigenem Wagen hatte sich uns angeschlossen. Sie haben schon fast die ganze Welt bereist. Wir werden sie voraussichtlich in Ulaan Bataar wieder sehen. Hilmar genoss das Gefahren werden sehr.




 




Jetzt sind wir wieder in Irkutzk. Mit Hilfe von Konstantin vom Hotel Nikita, hatten wir im Vorfeld ausgekundschaftet, wo wir hier eine Werkstatt finden könnten, die dringend fällige Wartungsarbeiten an unserem Jonny durchführt. Konstantin stammt ursprünglich aus Irkutzk und kannte sich aus. Außerdem hat er in München Deutsch gelernt. Hilmar war mit der Leistung des Mechanikers sehr zufrieden und von der Sauberkeit, die ihm in der Werkstatt entgegenblitzte, begeistert. Jetzt ist auch unser Jonny erholt und fit für die anstehenden Kilometer. 

Die nächsten Tage werden wir, meist parallel zur Eisenbahnlinie, im Süden um den Baikal fahren. Oberhalb von Ulan-Ude, am Selenge-Delta, müssen wir Abschied vom See nehmen. Der Baikalsee übt mit seinen vielen Buchten, seinem klaren Wasser und den faszinierenden Küstenlandschaften definitiv eine große Faszination aus. Allein die Größe von 636 km Länge und 79 km max. Breite ist gigantisch und lassen einen vergessen, dass man ja „nur“ an einem See ist. Noch dazu ist der See an seiner tiefsten Stelle 1620 Meter tief. Es gibt viele endemische Pflanzen und Tiere, die nur hier vorkommen. Vielleicht haben wir ja einige davon gesehen. 

Gegessen haben wir eine Sorte definitiv – den Omul, diesen leckeren Baikalfisch, der geräuchert am besten schmeckt, sich aber wie gehabt auch in einer Fischsuppe gut macht.

Iris überlegt schon, ob sie sich den Baikal nicht doch einmal im Winter anschauen soll. Im Februar. Wenn es klirrend kalt ist und man mit dem Auto über das Eis fahren kann. Und der Himmel so blau ist……

Vollmond zum Abschied von Olchon
Irkutzk

Freitag, 13. Mai 2016

Jonny Transsib - auf dem Sibirian Highway nach Irkutzk



                                                    Angekommen!!!
Anfahrt auf Irkutzk
Noch etwas benommen von den Fahrgeräuschen der Landstraße, die uns die letzten Wochen ein konstanter Begleiter waren, sitzen wir beide bei einem Gläschen Wein in unserem Jonny und blicken auf die Angara, in der das Wasser aus dem Baikalsee fließt, und sehen am anderen Ufer die Skyline von Irkutzk. 

Stellplatz am linken Angaraufer
Nach so viel Natur und Taiga wollten wir uns zumindest für eine der großen Städte entlang des Weges etwas mehr Zeit nehmen. Unser Stellplatz am Ufer des Flusses hat uns nach einer kleinen Irrfahrt an überfüllten Parkplätzen vorbei quasi von alleine gefunden. Plötzlich fanden wir uns auf einer Straße wieder, die uns zurück auf die andere Flussseite führte, da hüpfte uns die schöne Stelle unterhalb der Brücke ins Auge. Besser und friedlicher kann man in einer russischen Großstadt kaum stehen.

Noch können wir es schwer fassen. Seit unserem Aufbruch am 15. März haben wir genau 10.217 KM zurückgelegt. Irkutzk liegt ca. 65 km vom Baikalsee, dem östlichsten Punkt unserer Reise, entfernt. Danach wird uns unsere Route zunächst nach Süden führen, bevor wir bei Ulan-Bataar, der Hauptstadt der Mongolei, wieder Kurs nach Westen nehmen. Für den Rückweg haben wir ein Jahr Zeit! Ist das nicht eine schöne Aussicht?

Wie geplant ließen wir die vergangenen Tage ruhiger angehen und reduzierten die tägliche Kilometerleistung. Einerseits war dies beabsichtigt, andererseits veranlasste uns das überraschend winterliche Wetter, das uns ab Krasnojarsk über mehrere Tage begleiteten sollte, zu einem anderen Takt. 


9. Mai 2016 - hinter Krasnojarsk

11. Mai 2016 - 500 km vor Irkutzk
Zweimal mussten wir unseren Jonny morgens von Schnee befreien und unser Fahrtempo den veränderten Straßenbedingungen anpassen. Die kleine Pannenserie von Karl-Heinz Magirus tat ihr Übriges dazu und die Behebung der einzelnen, kleinen, aber fast gleichzeitig auftretenden technischen Defekte, brauchte ebenfalls seine Zeit. Mittlerweile läuft sein Fahrzeug wieder einwandfrei und wir konnten Karl-Heinz heute guten Gewissens ziehen lassen. 

Wir haben den Plan von Irkutzk aus direkt nach Olchon, der größten und festlandsnah im Baikalsee gelegenen Insel, zu fahren. Ihn hingegen zog es zunächst zu einem, ihm aus der Vergangenheit bekannten Stellplatz an der Angaramündung. Spätestens in Ulan-Bataar werden wir uns wiedersehen. In den letzten Wochen hatten wir genug Zeit uns aufeinander einzuschwingen. Unsere gemeinsame Fahrt durch die Weiten der Taiga verlief harmonisch und jeder konnte seinen Bedürfnissen entsprechend unterwegs sein. Zu zweit ist man bekanntlich weniger allein, was bei Durchfahrung der Mongolei durchaus Sinn macht.

An jedem Tag mit Schneefall schien am Nachmittag wieder die Sonne. Auf der meist gut ausgebauten, ziemlich neuen Strasse genossen wir die abwechslungsreiche Fahrt durch die sich immer wieder verändernde, geschwungene Landschaft. Vorbei an kleinen, meist an der Bahntrasse der Transsibirischen Eisenbahn gelegenen Dörfern, vorbei an frei laufenden Kühen, Schafen und Pferden, durchquerten wir eine kaum besiedelte Landschaft. Greifvögel und Krähen ziehen über uns ihre Kreise. Wir werden immer seltener von LKWs überholt, das Verkehrsaufkommen wir merklich geringer. 








Für uns faszinierend sind immer wieder die Bushaltestellen, die im vermeintlichen Nichts am Straßenrand auftauchen und die kleinen, von der Magistrale abzweigenden, zu abgelegenen Dörfern führenden Nebenstraßen, die ausnahmslos ohne Asphaltdecke bei diesen Wetterverhältnissen leicht zu Rutschbahnen werden.

Am 9. Mai, dem russischen Nationalfeiertag, wollten wir aus eben diesen Gründen auf einen gebührenpflichtigen LKW-Parkplatz ausweichen, um dort zu übernachten. Der Parkplatzwächter freute sich sichtlich über unser Erscheinen. Viel war an diesem Tag nicht los. Daher hatte er sich tagsüber wohl ausgiebig mit seiner Wodkaflasche unterhalten. Er machte es sich auf der Trittstufe unterhalb von Hilmars Seitenfenster bequem, lächelte uns mit seinen Goldzähnen fröhlich an und unterhielt sich, unter Verwendung einzelner deutscher Sprachbrocken, aufs Beste mit uns. Gerne hätte er wohl mit uns noch einen Wodka auf Brüderlichkeit, Frieden und Freundschaft getrunken! Welcher Russe hat denn schon mitten im hintersten Sibirien die Gelegenheit, am Tag des Sieges, mit einem Deutschen ein Gläschen zu heben. Dem Sieg im „Große Vaterländische Krieg“, wie der 2. Weltkrieg in Russland genannt wird, wird nach wie vor jedes Jahr ausgiebig gedacht. Der 9. Mai ist einer der wichtigen Feiertage im Land. Wir sahen uns schon im Wodka davon schwimmen, verzichteten dankend und fanden ein paar Kilometer weiter doch noch ein akzeptables Plätzchen.

Unterhalb von Krasnojarsk ist der Jenissej, der sich über 3.487 km von Süd nach Nord durch Sibirien schlängelt und auch das Wasser der Angara aufnimmt, bevor er sich ins Nordpolarmeer ergießt, durch einen Damm gestaut. Hier gibt es das größte Schiffshebewerk der Welt zu bestaunen. Wir einigten uns auf einen Abstecher dorthin. 

Leider hat uns im Laufe des Tages der Winter zum ersten Mal überrascht und vor lauter Nebel war die gigantische Staumauer kaum zu sehen. Als Entschädigung konnten wir allerdings unseren ersten Adler bewundern, der sich unweit von unserem Parkplatz bei unserem Erscheinen in die Lüfte erhob.

Hin und wieder tauchen jetzt am Straßenrand mit bunten Bändern geschmückte Bäume auf – wir sind endgültig in dem Teil Sibiriens, in dem schamanische Geisteshaltung bei Teilen der Bevölkerung noch eine Bedeutung hat, angekommen. Die Polizei dagegen macht sich in dieser Gegend mittlerweile rar. „Stöckchenmänner“, wie sie von Hilmar liebevoll genannt werden, haben wir schon länger nicht mehr gesehen. 



Morgen wollen wir Irkutzk erkunden, ein bisschen bummeln und Stadtfeeling genießen, bevor wir uns am darauffolgenden Tag auf den 250 km langen Weg nach Olchon machen. Laut Fahrplan soll die Fähre, die uns hinüber bringen wird, ab dem 15. Mai wieder regelmäßig verkehren – sofern der Baikal zu diesem Zeitpunkt eisfrei ist. Wir sind gespannt, was uns erwartet!

Sowjet-Nostalgie
Irkutzk 9 - Krasnojarsk 1032
Fernfahrer Hilmar :-)