Freitag, 6. Mai 2016

Jonny Transsib – über den Ural Richtung Baikalsee




12 Tagesetappen liegen mittlerweile zwischen uns und Suzdal und wir sind schon kurz hinter Novosibirsk. Aber was soll man jenseits des Urals auch anderes machen als fahren? In den vergangenen Tagen säumten Birkenwälder, Sumpfwiesen und gigantische Äcker unseren Weg, der immer weiter ostwärts führte. Wir stellen brav alle 2-4 Tage die Uhr um eine Stunde nach vorne, denn inzwischen haben wir die 5te Zeitzone erreicht. 

 Die auf der Route liegenden Millionen-Städte Nischnj Nowgorod, Kasan, Perm, Jekaterinburg, Tjumen, Omsk und Novosibirsk haben wir großräumig umfahren. Mittlerweile wissen wir, wie in russischen Großstädten der Verkehr fließt. Zäh und mühsam. Die Zeit, die wir für die Durchfahrung dieser Orte aufwenden müssten, steht in keiner Relation zu dem, was uns im Ort selbst erwarten würde. Zwar lässt uns unser russisches Jahresvisum in zeitlicher Hinsicht jegliche Freiheiten, da wir nicht binnen einer 4 Wochenfrist wieder aus dem Land ausreisen müssen. Nur die Kilometer, die wir zurücklegen werden, um Richtung Mongolei ausreisen zu können, sind gigantisch. Am Anfang ist das nur eine Zahl – 3000 km bis Novosibirsk, 5000 km bis Irkutzk – von Suzdal aus gemessen. 

Anfänglich hatten wir kein Gespür dafür. Wir hatten das Gefühl, viel Zeit zu haben. Nur, dann kämen wir wohl nie ans Ziel. Kurz hinter Suzdal (also 2 Tage und ca. 500km später) legten wir an einem schönen Plätzchen oberhalb eines, an der Wolga gelegenen Hafens, spontan einen Pausentag ein. Nur so konnten wir unsere bisherigen Eindrücke sortieren und uns langsam auf die Strecke, die vor uns lag, einstimmen.


Karl-Heinz, der diesen Russlandtransit-marathon bereits vor 6 Jahren absolviert hatte, stellte die berechtigte Frage, wie wir uns denn die Bewältigung der abertausend vor uns liegenden Kilometer vorstellen würden? Bisher gingen wir die Tage eher langsam an und schauten selten auf die Uhr. Gemeinsam blickten wir nochmal auf die Karten. Seit dem säuselt uns der Wecker jeden Morgen Punkt 6:40 aus dem Schlaf, gegen 8:30 sind wir meist schon unterwegs. Und es ist gut so. Ohne dieses Mini Maß an Struktur würden wir uns in diesem riesigen Land, in dem Zeit und Entfernung relativ werden, wohl auflösen. Der Tag mit Blick über das weite Wasser der Wolga hat uns gut getan. Auch die Flüsse sprengen alle uns bisher bekannten Maßstäbe. Im Vergleich zur Wolga ist die Donau ein kleines Bächlein. 

Die vergangen Tage verliefen ohne Sightseeing nicht weniger ereignisreich. Die Sonne begleitet uns bisher täglich und macht das Fahren angenehm. 


Die Straßen erhalten die Noten 2-. Sie sind häufig in gutem, manchmal sehr gutem und meist akzeptablen Zustand. Die im Internet kursierenden Horrormeldungen über fehlenden Straßenbelag und Schlaglöcher, in denen man einen VW-Käfer verstecken kann, haben wir nur stellenweise bestätigt gefunden. Ausgelöst durch die strengen Winter reagieren die Straßen mit einem Anflug von Beulenpest und platzen einfach auf. Bei der Überquerung des Ural, der sich als hügeliger Trennriegel zwischen Europa und Asien von Nord nach Süd quer durchs Land zieht, machten wir hier, vor allem in der Umgebung von Perm, die schlimmsten Erfahrungen. Manche Straßenabschnitte waren nur im 1. Gang zu bewältigen und es entstanden richtige Schlaglochanstehumfahrungsstaus. Die Benutzung der vielleicht schlaglochärmeren Gegenfahrbahn, bei entgegenkommendem Verkehr, ist mehr als üblich und Bautrupps versuchen, die größten Löcher bei fließendem Verkehr zu stopfen.



Nach unserer Mittagspause an dem 1837 zu Ehren des Thronfolgers Alexander aufgestellten Obelisken, der kurz vor Jekaterinburg die Trennlinie zwischen Europa und Asien markiert, ließen wir uns endgültig auf die unendlichen Weiten Russlands ein und nahmen Sibirien unter die Räder.

Europa - Asien

Hinterm Ural veränderte sich die Landschaft schlagartig. Erinnerte der Ural uns noch an den Schwarzwald, säumten jetzt die bereits oben erwähnten Birkenwälder, Äcker und Sumpfwiesen unseren Weg. Tagsüber fuhren wir ca. 280-380 km, abends bezogen wir abseits der großen Magistrale, die sich wie eine Lebensader schnurgerade von West nach Ost durchs Land zieht, an Waldrändern, Angelteichen oder Stoppeläckern Quartier. 


im Ural
hinter Omsk
Unser Übernachtungsplatz, an dem wir am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, morgens erwachten, wird uns besonders in Erinnerung bleiben. Die beiden Männer machten am Morgen nämlich das Tagesmotto zum Programm und einer nach dem anderen grub beim Abfahren vom Stellplatz sein Auto neben der festgefahrenen Spur im Morast ein. Hilmar kam noch ziemlich glimpflich davon, konnte Karl-Heinz ihn doch zügig wieder rausziehen. 

Ihn hat es dann schon schlimmer erwischt und Hilmar hatte mit unserem Jonny seine liebe Not, den Magirus rückwärts aus dem Moder zu ziehen. Mit der tatkräftigen, verbalen Unterstützung von zwei Russen, die gerade vom Angeln kamen, bekamen wir den Magirus wieder flott und konnten, nicht ohne vorher unsere Frischwasser-vorräte mit Wasser aus der örtlichen Quelle aufgefüllt zu haben, 3 Stunden später als geplant, aufbrechen.



Kurze Zeit später stellte Karl-Heinz fest, dass der Gaszug des Magirus gerissen war. Zwar konnte er fahren, brauchte aber schnellstmöglich einen Neuen. Daher stand als nächster Programmpunkt der Erwerb eines eben Solchen auf dem Plan. In Ischim, einer kleineren Stadt am Wegesrand, wurden wir, wiederrum mit der freundlichen Unterstützung eines passabel englisch sprechenden Einheimischen, fündig. Der brachte Karl-Heinz völlig selbstlos mit seinem PKW zu einem entsprechenden Geschäft, half ihm beim Kauf des benötigten Teils und schenkte uns zum Dank dafür auch noch 5 kg frischesten Fisch! Leider stellte sich im Nachhinein heraus, dass der Aufwand des Fischputzens weit größer war als der Genuss – Gräten über Gräten machten den Verzehr nicht wirklich zum Vergnügen. Ausnahmsweise hatten wir uns zum Übernachten einen LKW-Rastplatz ausgesucht. Somit konnten wir unsere noch hungrigen Mägen mit Kost aus der Rasthaustheke beruhigen. Selbst Kali, Karl-Heinz vierbeiniger Reisegefährte, hatte an dem von uns verschmähten Fisch keine Freude. Und das will was heißen!



Bisher trafen wir unterwegs ohne Ausnahme auf freundliche, entgegenkommende Russen, die uns nach unserem „Woher und Wohin“ fragen oder weiterhelfen. Dies schließt die Polizisten, die uns hin und wieder meist aus purer Neugierde mit ihren schwarz-weißen Stöckchen zur Kontrolle der Papiere dezent an den Straßenrand heran winken, mit ein. Unsere Antwort, dass wir zum Baikalsee wollen, stößt auf allgemeine Bewunderung – hat doch fast jeder Russe eine tief verwurzelte Sehnsucht im Herzen, ebenfalls irgendwann einmal an diesen magischen Ort zu kommen.



hinter Novosibirsk
Die Landschaft hat sich mit Querung des Ob schlagartig verändert. Die Straße ist kurviger, die Landschaft hügeliger. Jetzt, hinter Novosibirsk, ist der Baikal, an dem wir erst einmal etwas „Urlaub“ machen werden, zum Greifen nah. Die Idee, über den Westen in die Mongolei einzureisen und vorher das Altaigebirge zu erkunden, haben wir vor ein paar Tagen verworfen. Wir werden das Land von Osten her erobern. Schlappe 1500  km sind es noch bis Irkutzk.  Der Baikal liegt ja quasi vor der Haustüre! 


Frühlingsboten


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