12 Tagesetappen liegen mittlerweile zwischen uns und Suzdal
und wir sind schon kurz hinter Novosibirsk. Aber was soll man jenseits des
Urals auch anderes machen als fahren? In den vergangenen Tagen säumten
Birkenwälder, Sumpfwiesen und gigantische Äcker unseren Weg, der immer weiter
ostwärts führte. Wir stellen brav alle 2-4 Tage die Uhr um eine Stunde nach
vorne, denn inzwischen haben wir die 5te Zeitzone erreicht.
Die auf der Route
liegenden Millionen-Städte Nischnj Nowgorod, Kasan, Perm, Jekaterinburg,
Tjumen, Omsk und Novosibirsk haben wir großräumig umfahren. Mittlerweile wissen
wir, wie in russischen Großstädten der Verkehr fließt. Zäh und mühsam. Die
Zeit, die wir für die Durchfahrung dieser Orte aufwenden müssten, steht in
keiner Relation zu dem, was uns im Ort selbst erwarten würde. Zwar lässt uns
unser russisches Jahresvisum in zeitlicher Hinsicht jegliche Freiheiten, da wir
nicht binnen einer 4 Wochenfrist wieder aus dem Land ausreisen müssen. Nur die Kilometer,
die wir zurücklegen werden, um Richtung Mongolei ausreisen zu können, sind
gigantisch. Am Anfang ist das nur eine Zahl – 3000 km bis Novosibirsk, 5000 km
bis Irkutzk – von Suzdal aus gemessen.
Anfänglich hatten wir kein Gespür dafür.
Wir hatten das Gefühl, viel Zeit zu haben. Nur, dann kämen wir wohl nie ans
Ziel. Kurz hinter Suzdal (also 2 Tage und ca. 500km später) legten
wir an einem schönen Plätzchen oberhalb eines, an der Wolga gelegenen Hafens, spontan
einen Pausentag ein. Nur so konnten wir unsere bisherigen Eindrücke sortieren
und uns langsam auf die Strecke, die vor uns lag, einstimmen.
Karl-Heinz, der
diesen Russlandtransit-marathon bereits vor 6 Jahren absolviert hatte, stellte
die berechtigte Frage, wie wir uns denn die Bewältigung der abertausend vor uns
liegenden Kilometer vorstellen würden? Bisher gingen wir die Tage eher langsam
an und schauten selten auf die Uhr. Gemeinsam blickten wir nochmal auf die
Karten. Seit dem säuselt uns der Wecker jeden Morgen Punkt 6:40 aus dem
Schlaf, gegen 8:30 sind wir meist schon unterwegs. Und es ist gut so. Ohne
dieses Mini Maß an Struktur würden wir uns in diesem riesigen Land, in dem Zeit
und Entfernung relativ werden, wohl auflösen. Der Tag mit Blick über das weite
Wasser der Wolga hat uns gut getan. Auch die Flüsse sprengen alle uns bisher
bekannten Maßstäbe. Im Vergleich zur Wolga ist die Donau ein kleines Bächlein.
Die vergangen Tage verliefen ohne Sightseeing nicht weniger ereignisreich.
Die Sonne begleitet uns bisher täglich und macht das Fahren angenehm.
Die
Straßen erhalten die Noten 2-. Sie sind häufig in gutem, manchmal sehr gutem
und meist akzeptablen Zustand. Die im Internet kursierenden Horrormeldungen
über fehlenden Straßenbelag und Schlaglöcher, in denen man einen VW-Käfer
verstecken kann, haben wir nur stellenweise bestätigt gefunden. Ausgelöst durch
die strengen Winter reagieren die Straßen mit einem Anflug von Beulenpest und
platzen einfach auf. Bei der Überquerung des Ural, der sich als hügeliger
Trennriegel zwischen Europa und Asien von Nord nach Süd quer durchs Land zieht,
machten wir hier, vor allem in der Umgebung von Perm, die schlimmsten
Erfahrungen. Manche Straßenabschnitte waren nur im 1. Gang zu bewältigen und es
entstanden richtige Schlaglochanstehumfahrungsstaus. Die Benutzung der
vielleicht schlaglochärmeren Gegenfahrbahn, bei entgegenkommendem Verkehr, ist mehr
als üblich und Bautrupps versuchen, die größten Löcher bei fließendem Verkehr
zu stopfen.
Nach unserer Mittagspause an dem 1837 zu Ehren des
Thronfolgers Alexander aufgestellten Obelisken, der kurz vor Jekaterinburg die
Trennlinie zwischen Europa und Asien markiert, ließen wir uns endgültig auf die
unendlichen Weiten Russlands ein und nahmen Sibirien unter die Räder.
Hinterm Ural veränderte sich die Landschaft schlagartig.
Erinnerte der Ural uns noch an den Schwarzwald, säumten jetzt die bereits oben
erwähnten Birkenwälder, Äcker und Sumpfwiesen unseren Weg. Tagsüber fuhren wir ca.
280-380 km, abends bezogen wir abseits der großen Magistrale, die sich wie eine
Lebensader schnurgerade von West nach Ost durchs Land zieht, an Waldrändern,
Angelteichen oder Stoppeläckern Quartier.
Unser Übernachtungsplatz, an dem wir
am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, morgens erwachten, wird uns besonders in
Erinnerung bleiben. Die beiden Männer machten am Morgen nämlich das Tagesmotto
zum Programm und einer nach dem anderen grub beim Abfahren vom Stellplatz sein
Auto neben der festgefahrenen Spur im Morast ein. Hilmar kam noch ziemlich
glimpflich davon, konnte Karl-Heinz ihn doch zügig wieder rausziehen.
Kurze Zeit später stellte Karl-Heinz fest, dass der Gaszug
des Magirus gerissen war. Zwar konnte er fahren, brauchte aber schnellstmöglich
einen Neuen. Daher stand als nächster Programmpunkt der Erwerb eines eben
Solchen auf dem Plan. In Ischim, einer kleineren Stadt am Wegesrand, wurden
wir, wiederrum mit der freundlichen Unterstützung eines passabel englisch
sprechenden Einheimischen, fündig. Der brachte Karl-Heinz völlig selbstlos mit
seinem PKW zu einem entsprechenden Geschäft, half ihm beim Kauf des benötigten
Teils und schenkte uns zum Dank dafür auch noch 5 kg frischesten Fisch! Leider stellte sich im Nachhinein heraus, dass der Aufwand
des Fischputzens weit größer war als der Genuss – Gräten über Gräten machten
den Verzehr nicht wirklich zum Vergnügen. Ausnahmsweise hatten wir uns zum
Übernachten einen LKW-Rastplatz ausgesucht. Somit konnten wir unsere noch
hungrigen Mägen mit Kost aus der Rasthaustheke beruhigen. Selbst Kali, Karl-Heinz
vierbeiniger Reisegefährte, hatte an dem von uns verschmähten Fisch keine Freude. Und das will was heißen!
Bisher trafen wir unterwegs ohne Ausnahme auf freundliche,
entgegenkommende Russen, die uns nach unserem „Woher und Wohin“ fragen oder
weiterhelfen. Dies schließt die Polizisten, die uns hin und wieder meist aus
purer Neugierde mit ihren schwarz-weißen Stöckchen zur Kontrolle der Papiere
dezent an den Straßenrand heran winken, mit ein. Unsere Antwort, dass wir zum
Baikalsee wollen, stößt auf allgemeine Bewunderung – hat doch fast jeder Russe
eine tief verwurzelte Sehnsucht im Herzen, ebenfalls irgendwann einmal an
diesen magischen Ort zu kommen.
hinter Novosibirsk |
Die Landschaft hat sich mit Querung des Ob schlagartig
verändert. Die Straße ist kurviger, die Landschaft hügeliger. Jetzt, hinter Novosibirsk,
ist der Baikal, an dem wir erst einmal etwas „Urlaub“ machen werden, zum
Greifen nah. Die
Idee, über den Westen in die Mongolei einzureisen und vorher das
Altaigebirge zu erkunden, haben wir vor ein paar Tagen verworfen. Wir werden das Land von Osten her erobern. Schlappe 1500 km sind es noch bis Irkutzk. Der Baikal liegt ja
quasi vor der Haustüre!
Frühlingsboten |
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